Autorin: Tanja B.
Man könnte es auch weißes Gold nennen, wäre es nicht so günstig: L-Lysin.
Hat man einen Piraten, der mit Katzenschnupfen und Herpes gezeichnet ist, so wird man früher oder später auf die tierärztliche Empfehlung stoßen, doch einfach eben diese Aminosäure zu supplementieren.
Man hat sich als fleißige Katzenbesitzerin, in dem Fall ich, natürlich schon ein wenig Wissen angelesen und nickt eifrig: Jaja, das hemmt das Arginin, die andere wichtige essenzielle Aminosäure, Gegenspieler zum Lysin. Und der Herpesvirus verstoffwechselt Arginin. Dadurch „verhungert“ quasi das Virus und kann vom Immunsystem zurückgedrängt werden. Die Ärzt*innen sind erleichtert, dass man es nicht groß erklären muss, und die Katzenbesitzerin, ich, geht mit dem Nahrungsergänzungsmittel beruhigt und motiviert nach Hause. Alles kein Problem mehr. Das wird helfen.
Zugegeben: Schnell unterstellt man einigen tierärztlichen Praxen Profitgier und behauptet, sie würden teure unnötige Zusatzmittel verkaufen. Das kann man beim L-Lysin nun wirklich nicht behaupten. Es ist spottbillig, erhältlich in kosmetischen Dosen in der Drogerie, in teuren Schachteln in der Apotheke oder in recht preiswerten Body-Builder-Verpackungen, mit denen ganze Landstriche von Tierheimen entherpesiert werden könnten.

Hilde und Balu bekamen Lysin über 6 bis 7 Monate lang, täglich 500mg. Zuerst war ich beschwingt: Der Schnupfen war noch da, ja. Aber einen Herpesschub hatten sie nicht. Kann nicht schaden, dachte ich, und so gab ich es eifrig weiter. Mir fiel nur auf, dass sie es nicht besonders gern mochten. Ihr Futter, das mit Lysin in Kontakt kam, fraßen sie immer zuletzt. Als ich selbst das Wunderpulver kostete, wusste ich auch warum: Mir schmeckte es zugeben auch nicht wirklich.
Forschung und Studienlage
Während ich meine Katzen so mit einem vermutlichen Herpes-Hemmer versorgte, recherchierte ich. Ich fand ein paar Studien und tierärztliche Statements zum Lysin bei Katzen:
L-Lysin […], eine Aminosäure, die im FHV gegen Arginin ausgetauscht wird und so die Virusreplikation hemmt, hat in Studien bei Katzen mit chronischem Katzenschnupfen, FHV-Infektion und Konjunktivitis zu einer leichten Verbesserung einzelner klinischer Parameter und zur Verbesserung der Konjunktivitis geführt.
Schulz, Neues zum Katzenschnupfenkomplex
Klingt gut, dachte ich. Allerdings fiel mir auch auf, dass hier die praktizierenden Tierärzte wohl mehr wissen, als tatsächlich in der Forschung beschrieben:
The mechanism by which lysine restricts viral replication remains unclear. In vitro data generated with HSV-13,4 and FHV-18 suggest that lysine antagonizes a growth promoting effect exerted by arginine. Lysine-arginine antagonism has been demonstrated in many mammalian and avian species and at a number of points including sites of absorption, utilization, metabolism, and excretion.
Maggs, 2003
Invitro-Versuche sind leider immer nur bedingt direkt auf Tiere übertragbar. Außerdem, so obiges Zitat, hat man an anderen Herpesviren und an anderen Säugetier- sowie Vogelarten einen Antagonismus der Aminosäuren Lysin und Arginin nachgewiesen. Ob dies auch auf Katzen zutrifft, ist empirisch nicht bewiesen. Beim Menschen kann eine regelmäßige Überdosierung des Lysin Nebenwirkungen haben: Nierenfunktionsstörungen, auch Blutgerinnungsstörungen und Blutzuckerschwankungen (vgl. z.B. netdoktor.de: Lysin). Diese resultieren eben genau aus diesem Antagonismus. Arginin und Lysin sollten im richtigen Verhältnis stehen, ansonsten hemmen sie sich gegenseitig und es entstehen unerwünschte Wirkungen. Diese Nebenwirkungen konnten bei Katzen nicht festgestellt werden. Außerdem vermuten Maggs und Kass, dass der Lysin- und Arginin-Metabolismus zudem individuell genetisch bestimmt ist. (vgl. ebd., S.41). Eine minimale Verbesserung einer Bindehautentzündung (Konjunktivitis) konnte erzielt werden. Allerdings auch nur bei manchen der Katzen im Experiment.
Eine andere Forschungsarbeit betont, dass zwar der Lysin-Pegel im Blutplasma bei Katzen erhöht war, jedoch nicht der Arginin-Pegel sank. Dennoch konnte auch hier eine leichte Verbesserung der Konjunktivits bei manchen Katzen festgestellt werden im Vergleich zur Placebo-Kontrollgruppe. (vgl. Stiles, 2002)
Entzieht also wirklich die Lysin-Gabe dem Herpes-Virus die Nahrung? Nachdem nicht einmal wissenschaftlich erklärbar ist, wie dies funktionieren soll, ist natürlich fraglich, ob es wirklich die erwünschte Wirkung hat.
Eine weitere Arbeit aus den 70ern kommt zu ganz ähnlichen Schlüssen. Interessant ist dabei aber auch die Wortwahl für die Anleitung zur Handlung: Eine Supplementierung mit Lysin, könnte („may“) helfen, zumindest – so die wissenschaftliche These – schadet sie bei Katzen nicht. (vgl. Gaskell, 1977)
Und genau diese Unklarheit – von wissenschaftlichen Vermutungen hin zu handfesten ärztlichen Empfehlungen – fiel auch zwei Forschern auf, die sich daraufhin in die Literatur vertieften. Bol und Bunnik bemerkten, dass 91% der Tierärzt*innen und Tierkliniken Lysin bei Herpes empfahlen, obwohl die Studien keine festen Beweise für eine Wirkung oder gar für einen Wirkmechanismus vorlegen konnten. Die Versuchsgruppen waren klein und die Gruppen der Tiere, bei denen man eine Wirkung feststellte noch kleiner: Teilweise ging es hier um nur 4 Individuen, bei denen nicht so schwere Symptome festgestellt wurden. Eine Verkürzung der Infektionsdauer gab es übrigens nicht. Alle Tiere benötigten in etwa gleich lang, um ihren akuten Herpes auszuheilen. Zwar bemerkten Bol und Bunnik auch, dass es in der praktischen Anwendung immer wieder Katzenpatienten gab, die gut auf eine Lysintherapie ansprachen – warum auch immer. Diese Erfolge sind aber vereinzelt, vor allem gemessen an der Häufigkeit der ärztlichen Empfehlung. Außerdem müsste man weitere Gründe für eine scheinbare Wirkung in Betracht ziehen: Placebo, subjektives Empfinden der Besitzer*innen, Grad des Herpes-Schubs, Immunabwehr der Katze, etc.
Bol und Bunnik empfehlen, für die wenigen Katzen, die darauf ansprechen, einfach die Ergänzung mit Lysin beizubehalten. Pauschal als Medikament gegen Herpes würden sie es aber nicht bewerben. Vor allem nicht als Mittel der ersten Wahl .
Hildes Herpesschub – Praxistest
Dann kam Hildes erster Herpesschub seitdem sie bei mir ist. Und er dauerte 20 Tage. Ich dachte mir, naja, sonderlich kürzer als von Lysin-Befürworter*innen angekündigt war der Schub jetzt nicht. Und besonders milde ist er auch nicht verlaufen. Ich setzte es erst einmal ab, um zu sehen was passierte.

5 Wochen später konnte ich keinen Unterschied feststellen. Ob mit oder ohne Lysin: der Rotz wurde besser, da ich mittlerweile recht routiniert im Nasenspülen war und mein „Handwerkszeug“, bzw. „Anti-Rotz-Skills“ beisammen hatte. Hildes Auge war gut oder schlecht, je nachdem wieviel Stressinput sie hatte. Ob Lysin dabei verabreicht wurde oder nicht, machte keinen Unterschied.
Was ist also, wenn der Effekt nur daher kommt, dass Herpes sowieso von Besitzer*innen meistens erst erkannt wird, wenn er schon richtig ausgebrochen ist? Ist es also wirklich die Lysin-Gabe? Oder nur unser subjektives Empfinden? Was ist, wenn es nur als Placebo wirkt? Also als Placebo für Tiehalter*innen? Schlimm wäre es nicht, nein, denn auch da ist dem Tier geholfen. Ein wenig ratlos lassen mich allerdings die Nebenwirkungen zurück, die beim Menschen auftreten. Ob Katzen auch irgendwann diese zu spüren bekommen? Gefühlt hat sowieso jede 4. Katze im Alter eine Nierenkrankheit. Woher weiß man, dass es nicht das Lysin war, das man doch überdosiert hat? Keine Studie verfolgte die Wirkung von jahrelanger Lysin-Supplementierung.
Und jetzt?
Ich bin der Ansicht, dass meine Tiere in ihrem Leben schon genug Medikamente und Mittel bekommen haben und – entsprechend ihrer chronischen Krankheit – mit Sicherheit noch bekommen werden. Muss ich also präventiv etwas füttern, von dessen Wirkung ich objektiv nichts wissen kann, da es nicht empirisch bewiesen ist? Zumal meine Beobachtung zeigte, dass es offenkundig bei Hilde und Balu egal ist, ob ich es gebe oder nicht. Vielleicht bin ich zu kritisch für eine Placebo-Wirkung.
Mittlerweile handhaben wir einen Schub so: Wir haben immer eine Notfallpackung Virgan im Haus (gibt es nur beim Tierarzt oder auf Rezept). Ihr kommt also nicht umhin eure Katze sowieso dort vorzustellen und bitte macht dies auch! Alles andere wäre fahrlässig! Außerdem geben wir regelmäßig pflegende Augentropfen und für das verstopfte Näschen gibt es eine Nasendusche aus einer 0,9 – 1,0% Kochsalzlösung. Bei Bedarf hyaluron- oder dexpanthenolhaltige Nasensprays. Damit haben wir es geschafft, den Katzenschnupfen mit all seinen Abarten und Auswirkungen gut zurückzudrängen und ihnen ein annähernd normales Leben zu geben. Früh genug erkannt, lässt sich auch eine schwere Entzündung des Auges vermeiden.
Gleich weiterlesen:

Feline Herpesvirus Typ 1
Hilde hat Herpes
Herpes ist eine chronische Erkrankung und kann bei Stress immer wieder neu ausbrechen. Lies hier, wie wir damit umgehen und was unsere Erfahrungen sind.
Studien:
Abstract: Background: Feline herpesvirus 1 is a highly contagious virus that affects many cats. Virus infection presents with flu-like signs and irritation of ocular and nasal regions. While cats can recover from active infections without medical treatment, examination by a veterinarian is recommended. Lysine supplementation appears to be a popular intervention (recommended by > 90 % of veterinarians in cat hospitals). We investigated the scientific merit of lysine supplementation by systematically reviewing all relevant literature.
Methods: NCBI’s PubMed database was used to search for published work on lysine and feline herpesvirus 1, as well as lysine and human herpesvirus 1. Seven studies on lysine and feline herpesvirus 1 (two in vitro studies and 5 studies with cats), and 10 publications on lysine and human herpesvirus 1 (three in vitro studies and 7 clinical trials) were included for qualitative analysis.
Results: There is evidence at multiple levels that lysine supplementation is not effective for the prevention or treatment of feline herpesvirus 1 infection in cats. Lysine does not have any antiviral properties, but is believed to act by lowering arginine levels. However, lysine does not antagonize arginine in cats, and evidence that low intracellular arginine concentrations would inhibit viral replication is lacking. Furthermore, lowering arginine levels is highly undesirable since cats cannot synthesize this amino acid themselves. Arginine deficiency will result in hyperammonemia, which may be fatal. In vitro studies with feline herpesvirus 1 showed that lysine has no effect on the replication kinetics of the virus. Finally, and most importantly, several clinical studies with cats have shown that lysine is not effective for the prevention or the treatment of feline herpesvirus 1 infection, and some even reported increased infection frequency and disease severity in cats receiving lysine supplementation.
Conclusion: We recommend an immediate stop of lysine supplementation because of the complete lack of any scientific evidence for its efficacy.
Abstract: To determine whether oral administration of L-lysine to cats would lessen the severity of conjunctivitis caused by feline herpesvirus (FHV-1).
8 healthy young adult cats.
Cats received oral administration of lysine monohydrochloride (500 mg, q 12 h) or placebo (lactose) beginning 6 hours prior to inoculation of virus. The left conjunctival sac received a 50-microl suspension of FHV-1 grown in cell culture (1.8 X 10(8) tissue culture infective dose50) on day 1. Cats were evaluated and scores given for clinical signs each day for 21 days. Samples for virus isolation were collected from the eye and throat every third day. Plasma lysine and arginine concentrations were measured prior to the study and on days 3, 14, and 22.
Cats that received lysine had less severe conjunctivitis than cats that received placebo. Virus isolation results did not differ between the groups. Plasma lysine concentration was significantly higher in cats that received lysine, compared with control cats, whereas plasma arginine concentrations did not differ between groups.
Oral administration of 500 mg of lysine to cats was well tolerated and resulted in less severe manifestations of conjunctivitis caused by FHV-1, compared with cats that received placebo. Oral administration of lysine may be helpful in early treatment for FHV-1 infection by lessening the severity of disease.
Abstract: To determine whether oral administration of L-lysine to cats would lessen the severity of conjunctivitis caused by feline herpesvirus (FHV-1).
8 healthy young adult cats.
Cats received oral administration of lysine monohydrochloride (500 mg, q 12 h) or placebo (lactose) beginning 6 hours prior to inoculation of virus. The left conjunctival sac received a 50-microl suspension of FHV-1 grown in cell culture (1.8 X 10(8) tissue culture infective dose50) on day 1. Cats were evaluated and scores given for clinical signs each day for 21 days. Samples for virus isolation were collected from the eye and throat every third day. Plasma lysine and arginine concentrations were measured prior to the study and on days 3, 14, and 22.
Cats that received lysine had less severe conjunctivitis than cats that received placebo. Virus isolation results did not differ between the groups. Plasma lysine concentration was significantly higher in cats that received lysine, compared with control cats, whereas plasma arginine concentrations did not differ between groups.
Oral administration of 500 mg of lysine to cats was well tolerated and resulted in less severe manifestations of conjunctivitis caused by FHV-1, compared with cats that received placebo. Oral administration of lysine may be helpful in early treatment for FHV-1 infection by lessening the severity of disease.
Abstract: To examine the effects of orally administered L-lysine on clinical signs of feline herpesvirus type 1 (FHV-1) infection and ocular shedding of FHV-1 in latently infected cats.
14 young adult, FHV-1-naive cats.
Five months after primary conjunctival inoculation with FHV-1, cats were rehoused and assigned to receive 400 mg of L-lysine in food once daily for 30 days or food only. On day 15, all cats received methylprednisolone to induce viral reactivation. Clinical signs of infection were graded, and viral shedding was assessed by a polymerase chain reaction assay throughout our study. Peak and trough plasma amino acid concentrations were assessed on day 30.
Fewer cats and eyes were affected by conjunctivitis, and onset of clinical signs of infection was delayed on average by 7 days in cats receiving L-lysine, compared with cats in the control group; however, significant differences between groups were not demonstrated. Significantly fewer viral shedding episodes were identified in the treatment group cats, compared with the control group cats, after rehousing but not following corticosteroid-induced viral reactivation. Mean plasma L-lysine concentration was significantly increased at 3 hours but not at 24 hours after L-lysine administration. Plasma arginine concentration was not significantly altered.
Once daily oral administration of 400 mg of L-lysine to cats latently infected with FHV-1 was associated with reduced viral shedding following changes in housing and husbandry but not following corticosteroid administration. This dose caused a significant but short-term increase in plasma L-lysine concentration without altering plasma arginine concentration or inducing adverse clinical effects.

Katzenschnupfen
Und es spritzt der Rotz …
Lies hier weiter: Wie haben wir Balus Schnupfnase in den Griff bekommen?
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