Leiden für den Profit

Autorin: Sabrina

Es gibt hauptsächlich zwei Fraktionen von Tierhaltern, die sich Qualzuchten anschaffen: „Oh, das wusste ich ja gar nicht!“ – Die Leute, die sich einfach vorher überhaupt keine Gedanken darüber gemacht haben, was für eine Rasse sie sich da ins Haus holen, und wahrscheinlich rein nach dem Äußeren gegangen sind. Und dann die Gruppe „Ach, das ist gar nicht so schlimm, wie immer gesagt wird. Es ist doch ein ganz fröhliches Tier!“, austauschbar durch: „Ja, das ist eben rassebedingt, kann man nichts machen.“

Was heißt denn rassebedingt, bitteschön?

Wir Menschen züchten, das heißt verändern, aus meistens ästhetischen (Kindchenschema, verkürzte Gliedmaßen, Fellzeichnungen …) oder aus eigennützigen (Haarlosigkeit für Allergiker, körperliche Deformation zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit … ) Gründen Tiere so , dass sie uns besonders gut gefallen oder besonders viel Profit bringen, völlig egal, welche Konsequenzen dies für das Tier hat.

Sind das alles meine Verwandten? Man mag es kaum glauben.
Foto von Sugar Booger. Bild beschnitten.This file is licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic license. Datei auf wikicommons.org

Ob es ein Leben lang Atemnot hat, nie Sonnenlicht vertragen wird oder einfach permanent Schmerzen oder Juckreiz hat: „Aber die sind ja so süß!“

Das Tier wird konsumgerecht

Dem Tier ist herzlich egal für wie niedlich es befunden wird. Ein normales artgerechtes Leben sollte stattdessen oberstes Ziel sein. Ohne entzündete Hautfalten oder tränende Augen mit vorgeklapptem Lid.

Leider haben manche Leute nicht genügend Empathie um zu erkennen, dass unter dem oft fröhlichen Wesen ihres Tieres trotzdem enormes Leid verborgen ist, auch wenn man es nicht permanent oder auf den ersten Blick sieht oder es erst später im Leben auftritt. Ein süß wirkender Korkenzieherschwanz, der eigentlich eine zu kurz geratene, nach innen gestülpte Verkrüppelung ist, erkennbar an der Vertiefung daneben, in der sich Dreck sammelt bis sich die Haut entzündet. Wirbelknochen, die keilförmig statt rechteckig sind. Deformierte Köpfe, die in Kombination mit Keilwirbeln dazu führen, dass in vielen Fällen keine normale Geburt möglich ist sondern ein Kaiserschnitt gemacht werden muss… Das ist keine Zucht, das sind Erbkrankheiten!

Die Nacktkatze hat kein Fell, was sie sehr sonnen- und kälteempfindlich macht, und oft fehlen ihr sogar die Tasthaare, die für die Orientierung und für den Tastsinn essentiell sind.
Foto von Erin Hennessy, this file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license, Datei auf wikicommons.org

Zufällige Mutationen, die oft gesundheitliche Probleme mit sich bringen, werden als (ästhetisch) erwünscht angesehen und dadurch gezielt gefördert. Dabei wird jedoch nicht nur das Aussehen vererbt, sondern auch die Krankheit, bzw. die Behinderung. Um nur einige zu nennen – die Liste wär erweiterbar:

  • Besonders kleine Hunde (leider mit offenem Schädel, Wasserkopf, Luftröhrenkollaps und Kniescheibenluxation)
  • kurznasige Tiere (mit Atemnot, vorquellenden Augen und Zahnfehlstellungen)
  • Katzen mit Knickohren (leider mit Knorpeldefekten an den Beinen)
  • Merlefaktor (der zu Augendefekten, Taubheit, Welpentod und Entwicklungsverzögerung führt)
  • weiße Tiere oder Dalmatiner (taub oder schwerhörig)
  • Dobermänner und bestimmte Katzenrassen mit tödlich verlaufenden Herzmuskelerkrankungen
  • Hunde mit blauem oder silbernem Fell (Immundefekte und Haarausfall)
  • Nacktkatzen (die ihre Körpertemperatur nicht selbst regulieren können und ohne ihre Schnurr- und Tasthaare durchs Leben gehen müssen)

Ein Beispiel ist auch der Cavalier King Charles Spaniel, der nicht nur ein genetisch bedingtes Herzproblem, sondern durch den zu kurzen Kopf eine Quetschung des für Bewegungen zuständige Kleinhirns hat: Permanent Nackenschmerzen und stereotype Bewegungen, wie mit den Hinterläufen in der Luft kratzen oder nach Fliegen schnappen, die gar nicht da sind (Chiari Malformation/Syringomyelie),sind die Folge.

Hybride Katzenrassen – körperlich gesund und dennoch Qual!

Wenig bekannt ist auch, dass viele exotisch gemusterte Katzen, wie zum Beispiel die Savannah-Katze oder Caracat, aus einer Verpaarung von Wildkatzen mit Hauskatzen stammen. Bestand in der F1-Generation der ebenfalls hybriden Bengal-Katze das Muttertier aus einer wesentlich größeren Wildkatze und das Vatertier aus einer kleineren Hauskatze, so wird es bei neueren Züchtungen gern auch mal andersherum gehandhabt. Die Sozialisation wird über das Muttertier mitgegeben und zahme Katzen lassen den hybriden Nachwuchs ebenfalls oft zahmer aufwachsen. Leider kommt es zu schweren Verletzungen oder dem Tod der Hauskatze durch den Nackenbiss des Katers nach dem Deckakt und die zu großen Welpen machen einen Kaiserschnitt notwendig. Auch haben die verschiedenen Katzenrassen unterschiedliche Trächtigkeitsdauern. Das kann dazu führen, dass die Welpen zu früh geholt werden müssen. Die Kater sind bis zur dritten Kreuzungsgeneration unfruchtbar, sodass weitere Einkreuzungen der Wildkater durchgeführt werden müssen. Hybriden aus Wildtieren mit domestizierten Arten sind eigentlich nur für den Forschungszweck zugelassen. So entstammt die Bengalkatze einer wissenschaftlichen Untersuchung zur Katzenleukämie (die wilde Asiatische Leopardenkatze ist dagegen immun).Die wilden Eltern unserer hybriden Hauskatzen sind außerdem oft der Natur entnommen und werden unter schlechten Bedingungen gehalten. Dies alles für eine Mode-Katze? Für das optische Highlight „Sprenkel im Fell“ oder „Pinselohren“?

Wer braucht denn bitteschön wilde Eltern? Auch unsere ganz normale einheimische Hauskatze kann wild und ursprünglich aussehen – wie Pirat Balu beweist.

Für die Haltung solcher Hybridrassen gelten aber bis zur 4. Generation strenge Auflagen. Sie gelten noch als Wildtiere. Erst ab der 5. Generation wird sie wie unsere herkömmlichen Hauskatzen gehandhabt. Dennoch ist die Haltung solcher Rassen anspruchsvoll und nicht mit den uns bekannten „08/15-Katzen“ zu verwechseln. Diese Tiere benötigen meist mehr Bewegung und zeigen ein ursprünglicheres Verhalten. Dieser Bewegungs- und Beschäftigungsdrang steht konträr zum hohen Anschaffungspreis, aufgrund dessen sie eigentlich fast nur in Wohnungshaltung anzutreffen sind: Ist dies für Nachfahren von Wildkatzen artgerecht? Oder wäre nicht ein Wildgehege angemessen? Und resultiert daraus nicht ein fragwürdiges Leiden, selbst bei einem gesunden Tier? Mischungen wie die Caracat werden nicht selten überhaupt nicht zahm. Außerdem verteilt sich das Wesen der Elterntiere ungleichmäßig auf die Kitten: Unter Umständen erhält man einige sehr wilde Katzenkinder, die das Verhaltenserbe ihrer wilder Vorfahren weiter tragen. Eine artgerechte Wohnungshaltung ist damit derart anspruchsvoll, dass sie kaum zu realisieren ist.

Statement der Welttierschutzorganistion e. V. zu Hybridrassen.

(vgl. Hybridkatzen- die Tierschutzrelevanz neuer Züchtungen, Tierärztekammer Hamburg, vom Januar 2012.)

Unwissen der Besitzer*innen

Die Liste geht weiter und weiter … Der neueste Trend sind kurzbeinige „Dackelkatzen“. Wer weiß, was als nächstes kommt … Ganz ganz viele Besitzer*innen solcher Qualzuchtrassen sind sich schlicht nicht bewusst, welche Konsequenzen das hübsche Aussehen für ihre Tiere haben. Wie oft höre ich in meiner Sprechstunde „Wenn ich das vorher gewusst hätte!“ oder „Muss mein Tier jetzt dauerhaft leiden?“

Die Munchkin-Katze mit stark verkürzten Beinen. Sieht süß aus, aber kann sie sich damit katzengemäß fortbewegen?
Foto von Tasy Hong, publiziert unter Creative Commons Zero, Datei auf wikicommons.org

Ich benutze mittlerweile im Aufklärungsgespräch absichtlich den Begriff Qualzucht, um das Ausmaß der Defekte bewusst zu machen. Denn in der Regel möchte man dann doch ein gesundes Tier und man hat sich schlichtweg vorher nicht eingehend informiert. Das passiert leider viel zu oft auch mit Jagdhunden (wie Jack Russel, Dackel oder Weimaraner) oder Hütehunden (wie Border Collie,  Harzer Fuchs oder Malinois), die von Privatpersonen oft nicht artgerecht ausgelastet werden können und verhaltensauffällig werden. Eine Regelung wie beim z.B. Bayrischen Gebirgsschweißhund wäre rasseübergreifend wünschenswert: Dieser wird nur an Jäger abgegeben, die mit Schweißhunden arbeiten.

Der Paragraph 11b des Tierschutzgesetz, der Qualzuchten definiert und verbietet, ist leider zu schwammig formuliert und es fehlen konkrete Angaben, an denen man sich orientieren kann, um das Verbot auch umsetzbar zu machen. Genau hier setzen die Bemühungen des Qualzucht Evidenz Netzwerks an. Denn es gibt beratungsresistente Züchter*innen, die genau diese Erbkrankheiten willig in Kauf nehmen. Hier ist mit Argumenten nicht beizukommen – außer dass konkrete Checklisten vorhanden sind, an die (Amts-)Tierärzte und auch Gerichte sich halten können, um das Gesetz auch praktisch anwenden zu können. Es gibt Länder wie die Niederlande, in denen die Produktion kurznasiger Tiere verboten ist – geht doch! Es wurde einfach ganz klar festgelegt, dass die Nasenlänge mindestens ein Drittel der Kopflänge betragen muss, woraufhin der Mopszuchtverband seine Arbeit einstellen musste: Erfolg: Niederlande verbieten die Zucht von Möpsen, peta.de vom 7. Juni 2019. Berlin, bzw. das dortige Verwaltungsgericht, hat ganz klar die Nacktkatze als Qualzucht klassifiziert: „Nacktkatzen ohne Tasthaare sind Qualzucht“, Pressemitteilung vom 23.09.2015.

Manche Züchter*innen haben mittlerweile eingesehen, dass sie ihre Rasse systematisch kaputt machen und versuchen z.B. mit Einkreuzung von Jack Russel in Mopslinien, eine längere Nase zu etablieren. Leider löst dies das Problem auch nicht grundsätzlich, weil die Qualzuchtmerkmale genetisch auch bei folgenden Generationen und Mischlingen vorhanden sein können und somit weiter vererbt werden.

(vgl. Friederike Rhein, Stephanie Kraemer: Rückzüchtung von Qualzuchtrassen: Wenn eine lange Nase und Rute keine Garantie für Gesundheit sind, in: Hundemagazin WUFF Premium 6/22.)

Gleiches gilt für einige Merkmale, die nicht von außen ersichtlich sind und nur durch Gentests oder Untersuchungen der Zuchttiere VOR dem Zuchteinsatz gefunden werden können (beispielsweise Merlefaktor, hypertrophe Kardiomyopathie, Polycystic Kidney Disease, Röntgen auf HD/OCD und Keilwirbel).

Die überdurchschnittlich hohe Präsenz von Qualzuchtrassen in der Werbung und den sozialen Medien ist maßgeblich an der Beliebtheit der Rassen beteiligt. Das nächste Problem sind dann natürlich die „Hobby-“, bzw. Hinterhof-Vermehrer*innen und der illegale Welpenhandel mit den jeweiligen „Mode-Rassen“. Schließlich sind Tiere ein Business. Das Leid der im Ausland unter katastrophalen Bedingungen produzierten und in Deutschland an leider viel zu ahnungslose oder ignorante Menschen verkauften Welpen ist unsäglich. Ebenso das Leid der Hündinnen, die wie Gebärmaschinen benutzt werden. Viel zu oft werden in der Praxis zu jung von der Mutter getrennte Welpen vorgestellt, die teilweise mit Parvovirus infiziert und nicht zu retten sind. Natürlich sind Mode-Rassen besonders gefragt, und manch ein*e Tierhalter*in denkt nicht an die Folgekosten beim Tierarzt. Auch deswegen landen natürlich auch immer wieder Rassetiere im Tierheim, denen dann auch geholfen werden muss. Der ukrainische Ataxie-Kater Kim ist eine Scottish Fold; er wird später im Leben durch den Knorpeldefekt möglicherweise Probleme mit Arthosen bekommen. 

Kater Kim ist ein Scottish Fold. In Deutschland ist die Zucht oder Verpaarung dieser Rasse sogar verboten,

Aber schließlich war es schon immer die Aufgabe des Tierschutzes, hinter den Idioten her aufzuräumen… Bleibt nur der Appell: „Adoptieren ist besser als Züchten!“ Und wenn es unbedingt eine bestimmte Rasse sein muss, findet sich garantiert in einem Tierheim ein entsprechender Kandidat, denn:

Rasse schützt vor Tierheim nicht!


Hilfreiche Links:

Tierschutzgesetz § 11b 

Kofler-Michaelis, Sabine: „Ein Tier soll nicht lebenslang leiden müssen“, in: vetline.de vom 22. Dezember 2022.

Offener Brief der Landestierschutzbeauftragten an das FCI (Fédération Cynologique Internationale) zu Qualzuchten

Datenbank QUEN – „Qualzucht“-Datenbank

Tierärztekammer Berlin: Qualzucht

Tierschutzombudstelle Wien: Qualzucht

peta.de: Qualzucht

peta.de: Rassekatzen und Rassehunde: Idealvorstellung des Menschen führt zu Leid bei Tieren (Dezember 2022)

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