Autorin: Sabrina
Eines schönen Sonntags rief mich der Chef aus der tiermedizinischen Praxis an, er bräuchte kurz Hilfe bei einem Katzen-Kaiserschnitt – also nix wie rüber.
Zu unserer Überraschung lebte der totgesagt Welpe sogar noch und wurde fleißig getrocknet und warm gehalten bis Mutter Katze aus der Narkose erwacht war. Patrick bastelte dem kleinen grauen BKH-Mädchen einen Wärmehandschuh und übergab ihn ein paar Stunden später den Besitzer*innen, die sie mäßig interessiert mit nach Hause nahmen. Ein paar Tage später war ich in der Kleintiersprechstunde, als besagte Besitzer*innen hereinspazierten. Das Kitten war aus zwei Metern Höhe heruntergefallen und hörte nicht mehr auf zu schreien, sodass die überforderte Mutterkatze es nicht mehr annehmen wollte. Gegen die schwere Gehirnerschütterung gab es ein Schmerzmittel, aber damit das winzige Kitten nicht verhungerte, musste es nun mit der Flasche gefüttert werden – Überleben ungewiss.
Da sich die Besitzer*innen das nicht selbst zutrauten, aber auch nicht für die aufwendige stationäre Pflege bezahlen wollten, bot ich kurzerhand an, sie sollten mir das Kitten übereignen und ich würde es selbst aufziehen und später dann ein neues Zuhause finden. Darauf ließen sie sich ein, und ich zog nach Feierabend mit einem wie am Spieß schreienden Häufchen Elend von dannen.

Erstaunlicherweise klappte die Fütterung mit der Pipette trotzdem, ich verfrachtete das Kitten mit dem Arbeitstitel „Trixie“ erstmal ins Wohnzimmer und stellte einen Wecker für mitten in der Nacht. Patrick kam an diesem Abend erst sehr spät von der Arbeit zurück und hörte die unbekannten Geräusche aus dem Wohnzimmer. Ich hatte ihm nichts gesagt, es sollte eine Überraschung sein: Sein erstes Flaschenkind – direkt das Kitten, das er nach dem Kaiserschnitt trockengerubbelt hatte!
Er bekam eine Einweisung in die Zubereitung der Milch, wie man Fläschchen gibt, dass man nach dem Füttern das Bäuchlein massieren muss, dass man die Welpen animieren muss, sich mit den Pfoten abzustützen und den Milchtritt zu machen, damit sich die Muskulatur richtig entwickelt und wie man Kot- und Urinabsatz stimuliert, denn das können Welpen am Anfang nicht alleine. Wir wogen Trixie, erstellten eine Liste mit Fütterungszeiten und -menge und ich erklärte ihm, dass sich in den nächsten 48 Stunden herausstellen würde, wie schlimm das Schädel-Hirn-Trauma der kleinen Katze war und ob sie überleben würde. Nachts wechselten wir uns mit dem Füttern ab und in den nächsten Tagen konnte Patrick zum Glück oft Homeoffice machen oder ich nahm Trixie mit in die Praxis. Sie überlebte die kritischen ersten Tage, begann selbständig aus der Nuckelflasche zu trinken, nahm ordentlich zu und erhielt den Adelstitel „Prinzessin Trixie Purzelwurm von Auakopf“.

Insgesamt war sie ein sehr unkompliziertes Flaschenkind, aber das zweistündliche Tränken zehrte trotzdem an unseren Kräften. Nach zwei Wochen konnten wir die Tränkeintervalle vergrößern und Trixie begann herumzukrabbeln und die Augen zu öffnen. Nach der dritten Woche war klar, dass sie langfristig Spielkameraden brauchen würde. Wenn von Hand aufgezogene Katzen in den wichtigen erste Lebenswochen keinen Kontakt zur Katzenmutter oder wenigstens zu gleichaltrigen Geschwistern haben, werden sie fehlgeprägt. Sie erlernen keine Katzensprache, sondern halten sich selbst für einen Menschen, da sie von uns lernen und abschauen, wie man sich verhalten sollte. Fehlen zum Bespiel Raufkumpel, wenn die Katzen das Spielen und Jagen erlernen, entwickeln sie keine Beißhemmung. Diese entsteht dadurch, dass die Kitten merken „Wenn ich beim Spielen zu feste zubeiße, schreit mein Gegenüber, wehrt sich und beendet das Spiel.“ Wenn sie lernen mit den Händen oder Füßen von Menschen zu raufen, ist das vielleicht als Babykatze ganz süß, doch wenn sie dieses Verhalten als Erwachsene beibehalten, kann es zu ernsthaften Verletzungen kommen.

Generell ist es natürlich immer am besten, wenn die Kitten mit Mutter und Geschwistern bis zur 8. oder sogar 12. Woche aufwachsen können, aber da wir uns ja um medizinische Spezialfälle kümmern, ist das nicht immer möglich. In solchen Fällen sollte man trotzdem dafür sorgen, so nahe wie möglich an den Idealzustand heranzukommen. Selten wird man eine erwachsene Katze finden die bereit ist, die Kitten zu adoptieren und zu sozialisieren, dieser Teil wird den meisten Handaufzuchten immer fehlen. Aber wenigstens für Geschwister kann man sorgen!
Balu, Hilde und ihr blinder Bruder Snow kamen ja deutlich älter und zu dritt zu uns, sodass sie sich gegenseitig sozialisieren und voneinander „Katzensprache“ lernen konnten.
Wobei auch hier die neue Kapitänin Tanja sich nicht immer sicher ist, ob die Geschwister für andere Katzen ohne Akzent sprechen. Treffen sie draußen auf eine fremde Katze, reagieren die beiden so gar nicht auf die typischen Drohgebärden. Auf menschliche Intonation dafür von Anfang an.
Für Trixie fanden wir glücklicherweise einen Wurf aus drei roten Kitten, die bei einer Kastrations- und Fangaktion des lokalen Tierheims auf einem verlassenen Gelände in einem nahegelegenen Dorf mutterlos aufgefunden wurden. Sie waren ziemlich genauso alt wie Trixie, also etwa 4 Wochen, fraßen schon Nassfutter und Milch aus Schüsseln und waren sehr aktiv. Sie befanden sich schon ein paar Tage bei einer Arbeitskollegin auf der Pflegestelle, sodass sie entwurmt und entfloht werden konnten. Wir bauten einen Kindergartenauslauf in Patricks Arbeitszimmer und holten die drei Rotschöpfe zu uns. Da es sich bei ihnen um zwei Katerchen und ein weibliches Kitten handelte, war schnell klar, dass wir sie in zwei gleichgeschlechtlichen Paaren vermitteln konnten, wenn sie groß genug wären, denn in der Regel verstehen sich gleichgeschlechtliche Katzenpärchen untereinander besser, was an dem unterschiedlichen Spielverhalten liegt. Man sagt: Kater sind eher körperbetont und raufen, während Kätzinnen lieber mit Objekten wie Bällen spielen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Es war erstaunlich zu sehen, wie sehr Trixie von der Gegenwart der etwas weiter entwickelten Stiefgeschwister profitierte. Alleine wäre sie wahrscheinlich nicht so schnell auf die Idee gekommen, dass man auf eine Kratzbaum auch hochklettern kann. So guckte sie sich erst einmal fasziniert an, wie die anderen Kitten das anstellten und probierte es dann selbst aus. Hierbei zeigte sich auch erstmals ihre Gleichgewichtsstörung Ataxie, die sie sich bei ihrem Sturz zugezogen hatte. Sie war langsamer und unkoordinierter als die anderen Kitten, konnte nicht so gut springen und zielen, hob die Vorderbeine beim Laufen zu hoch an und war insgesamt wackelig unterwegs. Trotzdem entwickelten sich die vier Kitten prächtig und konnten wie geplant mit 8 Wochen in Zweierpacks in neue Zuhause umziehen.

Leider verläuft nicht jede Handaufzucht so problemlos. Im nächsten Jahr wurde die kleine Ember kurz nach der Geburt mutterlos aufgefunden, und obwohl sie ein paar Tage lang gut trank, bekam sie einen kurzen, heftigen Magen-Darm-Infekt, den sie nicht überlebte.
Wenn man mutterlose Katzenbabys findet, ist es immer erstmal wichtig abzuklären, ob die Mutter wirklich nicht zurückkommt oder in der Lage ist, sich selbst um die Kitten zu kümmern. Wenn es eine Flaschenaufzucht nötig ist, sollte man die oft tabellarischen Übersichten der Futtermittelhersteller mit Angaben zu Fütterungsmenge und Häufigkeit beachten. Eine Kontrolle der Gewichtszunahme und ein sorgfältiges Gesamtmanagement sind essentiell. Besonders in den ersten vier Wochen ist es anstrengend, jede Nacht aufzustehen und ein oder mehrere Kitten zu füttern und zu massieren. Ab der 4. Lebenswoche ist es unerlässlich, sich gut um die Sozialisierung der Kitten zu kümmern, denn ein Mensch ist kein ausreichender Sozialpartner für Katzen.
Obwohl die meisten handaufgezogenen Kitten ein erfülltes Leben führen können, sind sie nie so stabil und charakterfest wie Kitten, die mit Mutter und Geschwistern aufwachsen konnten.
Hilfreiche Links:
„Mutterlose Aufzucht von Katzenwelpen“, in: NetAP Wegweiser Nr. 2, 2015.